Sonntag, 11. März 2018

Rezension: Stefan Zweigs Die Welt von Gestern



Inhalt

Stefan Zweigs kurz vor seinem Freitod 1942 verfassten, autobiographisch angehauchten Erinnerungen an sein Leben und seine Welt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werfen einen Blick zurück auf eine Welt der Sicherheit und Freiheit für viele, wenn auch nicht alle Bevölkerungsschichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bis durch den Ersten Weltkrieg diese alte Welt komplett ins Wanken geriet und spätestens mit Hitlers Herrschaft komplett verschwand. Zweig schildert weniger sein eigenes Schicksal als das seiner Generation, die wie noch nie zuvor eine andere unter den Schrecken zweier Weltkriege leiden musste.

Meinung

Stefan Zweig beginnt seine Ausführungen mit einem kurzen Vorwort, in dem er die Lebensumstände schildert, in denen er sich während des Abfassens des Buches befand, nämlich bereits im Exil in Brasilien. Nichts sei ihm zur Hilfe beim Schreiben geblieben, keine eigenen Bücher, Aufzeichnungen oder Briefe von Freunden, so dass er sich vollständig auf sein Gedächtnis verlassen müsse. So beginnt er schließlich die Welt vor dem Ersten Weltkrieg darzustellen, zunächst auch die seiner Eltern bzw. deren Generation, ihre Wert- und Moralvorstellungen, Kleidungsgewohnheiten, auch sexuellen Ansichten, um dann das allmähliche Auflockern ihrer Vorstellungen während seiner Jugend zu erläutern. Er widmet sich ausführlich seiner Schulzeit, wobei er diese nicht nur bezogen auf seine eigenen Erfahrungen, sondern auch allgemein darstellt, wenn auch deutlich der Fokus auf dem Erfahrensbereich des gehobenen Bildungsbürgertums liegt. Dies kann man Zweig allerdings nicht vorwerfen, er schreibt eben von dem, was er kennt. Seine Studienzeit wird ebenso erläutert, wobei diese autobiographischer als die vorherigen Kapitel ausfällt, wie auch seine ersten Erfolge als Autor, die einen kleinen Einblick in die Schriftstellerlandschaft des frühen 20. Jahrhunderts geben, deren Größen (wie auch aus dem Bereich der Kunst) Zweig nach und nach persönlich kennen lernt. Daraufhin folgt die Darstellung des Ersten Weltkrieges, vor allem aus kultureller und nicht so sehr politischer Sicht und in erster Linie unter dem Gesichtspunkt, wie dieser sich auf die Gesellschaft auswirkte und was Zweig unternahm, um für den Frieden und gegen den Krieg einzutreten. Es folgen die Zwischenkriegszeit und Hitlers Aufstieg, Zweigs Exil bis hin zum 1. September 1939, den Zweig bewusst zum Schlusspunkt seines Werkes wählte, stellte der Beginn des Zweiten Weltkriegs mit Deutschlands Einmarsch in Polen doch einen Schlusspunkt der Epoche, die Zweigs Generation prägte, dar.
Stefan Zweig behandelt also in seinem Buch eine Zeitspanne von ungefähr 60 Jahren, von seinem Geburtsjahr 1881 bis 1939. Es gelingt ihm dabei herausragend, einerseits die Lebensumstände des Bildungsbürgertums zu Beginn des 20. Jahrhunderts herauszustellen, wie auch andererseits die Zäsur zu verdeutlichen, die für diese Generation der Erste und dann auch der Zweite Weltkrieg bedeutete. Diese Thematik habe ich bisher nirgends treffender und nachvollziehbarer gelesen als in diesem Buch. Man hat beinahe als Leser das Gefühl, selbst dieser Generation anzugehören und all das Elend und die Unsicherheit miterlebt zu haben. Insbesondere die Darstellung des Ersten Weltkriegs aus der Sicht der Schriftsteller und Künstler war enorm lesenswert. Wenn Zweig allerdings zeitweise seitenweise über seine schriftstellerische Tätigkeit und Besuche bei Freunden berichtet, zieht sich das Werk etwas. Die Passagen, die zu sehr autobiographisch geschrieben sind, gehören zu den schwächeren des Buches, viel besser gelingt die Darstellung der Situation der Generation, der Zweig angehörte. Auch, da es ein herausragendes Plädoyer für den Frieden und ein geeintes Europa ist, was bis heute nichts an seiner Aktualität verloren hat. Zudem bringt es dem Leser den Menschen Stefan Zweig kurz vor seinem Freitod näher. Ich konnte mich durch die Lektüre besser in seine Situation 1941/42 hineindenken und seine Beweggründe für seinen Suizid besser verstehen, was dem Werk durchaus einen rührenden Aspekt dazugibt, zu wissen, dass dies die letzte Arbeit war, an der Zweig noch saß, eine Art Vermächtnis, die Schilderung einer vergangenen Zeit.
Was mir ein wenig fehlte, war die Reflexion darüber, inwieweit uns unser Gedächtnis und unsere Erinnerungen täuschen können. Zweig gibt ja wie erwähnt im Vorwort direkt zu, dass er ohne Hilfsmittel dieses Werk verfasst hat, doch mir fehlten Überlegungen von ihm dazu, inwiefern Erinnerungsfehler auftreten können, insbesondere wenn die Ereignisse zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, und man Verbindungen zwischen Dingen herstellt oder ihnen heute eine ganz andere Bedeutung beimisst, weil man eben mit dem Wissen, was sich nachher aus ihnen entwickelt hat, ausgestattet ist, was ein Zeitzeuge beim Erleben des jeweiligen Ereignisses einfach nicht hat. Für einen derart historisch interessierten Autor wie Zweig hätte ich mir Überlegungen und damit eine kritische Hinterfragung seiner selbst stärker gewünscht. 

Fazit

Eine in weiten Teilen herausragende, auch sprachlich gelungene Darstellung von Stefan Zweigs Generation, die zweimal durch beide Weltkriege in ihren Tiefen erschüttert wurde und unzählige Umwälzungen in relativ kurzer Zeit verkraften musste. Jedem geschichtlich Interessierten kann ich dieses Buch nur wärmstens weiterempfehlen, viel besser kann man das Schicksal einer Generation nicht darstellen und für spätere Generationen verständlich machen!

4 von 5 Punkten


Buchinfos:
Taschenbuch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-596-21152-4
Erschienen am: 01. April 1985
Preis: 12,00 €

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen