Sonntag, 18. März 2018

Rezension: Titus Müllers Der Tag X


Inhalt

Ostberlin und Halle/Saale im März 1953: Nelly steht kurz vor dem Abitur, während ihr Vater im weit entfernten Russland arbeiten muss und sie ihn seit Jahren nicht gesehen hat. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer kirchlichen Jugendorganisation wird sie von der Schule geworfen. Der Uhrmacher Wolf möchte ihr helfen, landet dadurch aber schließlich im Gefängnis und muss für die Stasi spionieren. Der russische Spion Ilja versorgt Nelly mit Briefen ihres Vaters, während er in Berlin nach Stalins Tod für Beria arbeitet. Dieser versucht eine Kurskorrektur in der DDR zu vollziehen, wo sich aber schließlich Mitte Juni 1953 die Unzufriedenheit der Bürger mit dem SED-Regime in Massenaufständen entlädt, so auch in Halle, wo die Putzfrau Lotte König versucht, ihre Kinder zu ernähren und mitten in die Demonstrationen gerät…

Meinung

Dieser Roman ist mittlerweile der dritte, den ich von Titus Müller gelesen habe. „Berlin Feuerland“ hatte mir sehr gut gefallen, woran auch sein neuestes Werk glücklicherweise heranreichen kann, war doch „Tanz unter Sternen“ eher eine Enttäuschung gewesen. Im Zentrum des Buches steht der Zeitraum von März bis Juni 1953 in der DDR. In einem Vorspann, der im Oktober 1946 spielt, erfährt man, wie Nellys Vater nach Russland verfrachtet wurde. Danach werden immer Ereignisse einzelner Tage im Jahr 1953 dargestellt. Der Fokus liegt auf Berlin (Nellys, Wolfs und Iljas Geschichte) und Halle (Lottes Geschichte), einzelne Szenen finden aber auch etwa in Bonn oder Moskau statt. Im Laufe des Buches liegen immer mehr Tage zwischen den einzelnen Kapiteln bis hin zum 16./17. Juni, was sehr sprunghaft wirkt und den Lesefluss ein wenig stört. Die Handlungsstränge kommen etwas abgehackt daher. Im Januar 1954 endet der Roman mit einem leider doch zu kitschigen Ende, das einiges noch offen lässt.
Womit das Buch durchweg überzeugt, das ist die sehr genaue Orientierung an den historischen Fakten, was mir generell sehr an Müllers Romanen gefällt. Auf der Innenseite des Bucheinbandes ist zum einen ein Ausschnitt aus einem Berliner Stadtplan abgebildet, der die Marschroute der Bauarbeiter am 16. Juni zeigt. Zum anderen findet man im Anhang ausführliche Schilderungen der dem Buch zugrunde liegenden historischen Begebenheiten und Personen und erfährt, wo der Autor etwas Fiktion dazugepackt hat. Zudem werden Abkürzungen erläutert und weiterführende Literaturtipps gegeben. Auch greift Müller im Text auf historische Dokumente zurück, die zum Teil wortwörtlich abgedruckt werden. Man darf natürlich nicht vergessen, dass „Der Tag X“ immer noch ein Roman ist, doch der Umgang mit der geschichtlichen Überlieferung ist durchaus zu loben. So kann auch ein wenig Vorwissen rund um die Massendemonstrationen Mitte Juni 1953 nicht schaden, das Buch ist aber auch für Laien gut verständlich geschrieben. Insbesondere die spannenden Einblicke in die damalige Spionagearbeit und die damit verbundene Technik machen den Roman zusätzlich zu seiner aufwühlenden Hauptthematik sehr lesenswert. Diese wird sehr facettenreich dargestellt, man versteht besser, wie es zu den Aufständen kommen konnte, und weiß unsere heutige Demokratie und im Verhältnis deutlich größere Freiheit umso mehr zu schätzen.

Fazit

Mit diesem Roman konnte mich Titus Müller wieder überzeugen. Seine Herausarbeitung der Umstände rund um den 17. Juni 1953 ist kenntnisreich, spannend, nah an den historischen Fakten und abgewogen geschrieben. Im Verhältnis dazu bleiben die fiktiven Charaktere zwar ein wenig blass, sie tun dem Lesevergnügen aber keinerlei Abbruch. Wenn sich für die Geschichte der DDR interessiert, kann mit diesem Roman rein gar nichts falsch machen!

4 von 5 Punkten


Buchinfos:
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 400 Seiten
ISBN: 978-3-89667-504-0
Erschienen am: 27. Februar 2017
Preis: 19,99 €


Ein großes Dankeschön an den Blessing Verlag für das bereit gestellte Rezensionsexemplar!

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