Donnerstag, 8. März 2018

Rezension: Victor Hugos Les Misérables


Inhalt

Victor Hugos Jahrhundertroman behandelt das Schicksal des Galeerensträflings Jean Valjean, der wegen des Diebstahls eines Brotes und einigen Fluchtversuchen insgesamt neunzehn Jahre Strafe absitzen muss. Endlich frei, scheint er aufgrund seiner Vorgeschichte für sein Leben gezeichnet zu sein, niemand will ihm eine neue Chance geben. Als ihm ein Bischof ein Bett für die Nacht anbietet, kann er nicht widerstehen und stiehlt diesem das Tafelsilber. Der Bischof rettet Jean jedoch vor der Polizei und schenkt ihm noch zwei Leuchter, was Jean dazu bewegt, von nun an ein anständiges Leben führen zu wollen. Er baut sich eine neue Identität auf, gründet eine erfolgreiche Fabrik und kümmert sich um die Armen und Entrechteten, so auch um die Arbeiterin Fantine und ihre junge Tochter Cosette. Dann holt ihn allerdings seine Vergangenheit wieder ein, als der Polizeiinspektor Javert seine wahre Identität entdeckt…

Meinung

Zunächst einmal vorneweg: ich lese gern viele so genannte Klassiker, auch wenn ich diesen Satz „Bücher, die man unbedingt einmal gelesen haben sollte“ nicht leiden kann. Denn wer bestimmt dies denn? Gute, wichtige Literatur ist wie so ziemlich alles Andere Geschmackssache, viele Klassiker werden von den einen in den Himmel gelobt, von anderen als staubtrocken und langweilig, wenn auch sprachlich gelungen abgetan. Genauso scheiden sich die Geister immer daran, was nun ein wirklich gutes Buch ausmachen sollte. Reicht es, wie für so genannte Klassiker oft üblich, wenn das Werk über eine anspruchsvolle Sprache verfügt, eine historisch wichtige Thematik bzw. gesellschaftskritische Komponente auftaucht und der Leser den komplexen Ausführungen des Autors nicht immer folgen kann? Oder reicht es, wenn die Handlung unterhaltsam und spannend ist? Ist es ein Zeichen für gute Literatur, wenn ich das Buch kaum aus der Hand legen kann, aber der Schreibstil dafür nicht sehr anspruchsvoll ist und die Handlung eher plumpen, immer wiederkehrenden Mustern folgt? Les Misérables gehört nun zu den Klassikern der französischen Literatur, wer auch immer dies entschieden hat, und kann auf all den erwähnten Ebenen überzeugen. Das Buch bietet eine anspruchsvolle Sprache gepaart mit einer nicht plumpen, sondern spannenden, erstklassigen Geschichte, die zudem die Missstände der damaligen französischen Gesellschaft noch überzeugend anprangert. Allerdings habe ich nur eine gekürzte Fassung gelesen. Ich habe das Buch geschenkt bekommen und dann erst gemerkt, dass es deutlich verkürzt ist. Leider wird dies in der Ausgabe vom Aufbau Verlag auch nicht direkt erwähnt, bloß vorn im Buch findet man eine kleine Angabe, dass es nach der gekürzten Version von 1933 entstanden ist. An die längere Fassung scheint man auch nicht so gut heranzukommen, wie ich gelesen habe. Ich kann auf jeden Fall hier nur die kürzere Version bewerten.
Gegliedert ist das Werk in fünf Hauptkapitel, die ersten drei behandeln die Geschichte von Fantine, Cosette und schließlich Marius, einem jungen Studenten, der sich in Cosette verliebt, das vierte im Wesentlichen den Pariser Juniaufstand von 1832 und das letzte schließlich Jean Valjeans Lebensende. Im Zentrum eines jeden Kapitels steht schon die dem Kapitel seinen Namen gebende Person, also zu Beginn etwa Fantine, doch auch die anderen Charaktere werden ausführlich behandelt und die Geschichte aus ihrer Sicht weitergeführt. So erlebt man die Handlung immer wieder aus der Sicht einer anderen Person, was der Geschichte eine noch größere Vielschichtigkeit verleiht.
Leben tut das Buch vor allem von seinen lebensnahen Figuren, allen voran Jean Valjean, der die gute Seele des Werkes ist, mit dem man die gesamte Zeit mitfiebert, wenn er immer wieder eine Verhaftung durch Javert fürchten muss, sich aber gleichzeitig rührend um die arme Bevölkerung kümmert und den Gewinn aus seiner Glasfabrik nicht für sich, sondern für all die, die fast nichts im Leben haben, ausgibt. Die Schilderung seines Kampfes um Cosette, die kaum sechsjährig schon als Magd für eine Familie herhalten muss, in deren Obhut sie Fantine gelassen hatte, ist eine der rührendsten, eindringlichsten Passagen eines Werkes, was ich seit langer Zeit gelesen habe. Die Darstellung des Elends der unteren Schichten in Frankreich im 19. Jahrhundert gelingt Hugo herausragend, man lebt förmlich mit ihnen in ihrer Armut, ihrer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. So konnten mich die ersten zwei Kapitel und auch das letzte enorm fesseln und berühren, das Schicksal von Fantine, Cosette und Jean Valjean lässt einen nicht mehr los. Die Marius-Geschichte und schließlich die historische Komponente des Werkes, der Pariser Juniaufstand im Jahr 1832, fielen im Vergleich dazu ein wenig ab. Dies mag auch ein wenig daran liegen, dass für diese Handlung einige Vorkenntnisse zu den Geschehnissen in Frankreich zur damaligen Zeit durchaus hilfreich für das bessere Verständnis der Geschichte gewesen wären. Einiges blieb daher etwas unklar und man kommt auch ständig mit den Unmengen an französischen Namen durcheinander.

Fazit

Ein Klassiker, der in meinen Augen diese Bezeichnung auch wirklich verdient. Ein anspruchsvoller Schreibstil trifft herausragend gezeichnete Charaktere und eine spannende, fesselnde Handlung, die obendrein noch die Situation der Ärmsten der Armen der französischen Gesellschaft erschreckend aufzeigt und auch das damalige Strafsystem anprangert. Ich für meinen Teil kann sagen: das ist herausragende Literatur, die ich jedem weiterempfehlen würde!

4,5 von 5 Punkten


Buchinfos:
Broschur, 608 Seiten
ISBN: 978-3-7466-1700-8
Erschienen in: 2013
Preis: 11,99 €

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