Inhalt
Dieser oftmals zu wenig beachtete Roman, den Hans Fallada kurz nach Kriegsende schrieb, setzt im April 1945 ein. Der Krieg ist im Grunde vorbei, die Rote Armee steht kurz vor der mecklenburgischen Kleinstadt, in der der Schriftsteller Doll und seine jüngere Frau Alma leben. Nachts verfolgen Doll Alpträume vom Bombentrichter, aus dem er nicht entkommen kann, er will etwas gegen den Alpdruck der Mitschuld tun und wird schließlich von der Roten Armee als Bürgermeister eingesetzt. Er überarbeitet sich komplett, kann es niemandem recht machen und flieht mit seiner Frau, räumlich nach Berlin, wo die Dolls noch eine Wohnung besitzen, seelisch ins Morphium. Doch er beginnt für ihr Leben zu kämpfen, als er allmählich wieder an eine Zukunft glauben kann…
Meinung
Es wurde bei mir einfach mal wieder Zeit für einen Fallada, dessen Bücher mich bisher immer begeistert und berührt haben. Auch wenn „Der Alpdruck“ selten genannt wird, wenn man von Falladas gelungensten und bekanntesten Werken spricht, lohnt sich die Lektüre ungemein, eigentlich hat der Roman eine höhere Wertschätzung verdient. Er stellt eindrucksvoll die unmittelbare Nachkriegssituation einerseits auf dem Land, andererseits im zerbombten Berlin dar und ist zudem sehr autobiografisch angehaucht. Fallada behandelt darin seine Arbeit als Bürgermeister, die Morphinsucht von ihm und seiner Frau, das Leben in Berlin direkt nach Kriegsende, eingebettet in die allgemeine Ohnmacht und Perspektivlosigkeit nach dem Krieg, den florierenden Schwarzmarkt, die Suche und den Kampf um Normalität, zerbombte oder besetzte Wohnungen, unzählige Behördengänge, Lebensmittelkarten und die über allem stehende Mitschuld jedes Deutschen am Krieg, die es irgendwie zu verarbeiten gilt, ohne sie je wieder gutmachen zu können.
Die daraus resultierende Schwermut und Depression eines ganzen Volkes fängt Fallada sehr einfühlsam in seinen erneut sehr lebensnahen Figuren ein. Sei es der Schriftsteller Doll, der keinen Satz mehr zu Papier bringt, sei es seine Frau, die sich ins Morphium flüchtet, die Provinzler, die ihre letzten Schätze horten, oder die Besetzer der Dollschen Wohnung, die deren Eigentum an sich reißen, alle werden sehr lebensnah und echt gezeichnet. Man kann sich in sie hineinfühlen, leidet und erlebt hautnah mit und versteht so mehr davon, wie sich viele Deutsche nach dem Krieg gefühlt haben müssen. Man fühlt ihre Sorgen mit, ob etwa das Haus / die Wohnung überhaupt noch da ist, wie sie ihr Leben weiter gestalten und wie sie sich ernähren sollen, wie sie mit dieser großen Schuld, die auf ihren Schultern lastet, umgehen sollen, und versteht das Unvermögen, irgendwo noch Hoffnung hernehmen zu können. Ich fühlte mich zwischendurch so, als ob ich wie meine Großeltern den Krieg und das Danach wirklich miterlebt hätte. Das ist das Beeindruckende an Falladas Büchern, man versinkt derart in der Geschichte, dass man beinahe Teil von ihr wird und die Figuren wirklich zu kennen scheint.
All dies führte dazu, dass ich den Roman kaum aus der Hand legen konnte. Er ist fesselnd von der ersten Seite an, obwohl handlungstechnisch gar nicht so viel passiert, doch das Innenleben der Figuren wird derart eindringlich herausgearbeitet, dass man mit ihnen mit leidet und sie immer weiter begleiten will. Spannend ist auch die Tatsache, dass man es bei dem Text mit einem unmittelbaren Zeitzeugenbericht zu tun hat, unabhängig von der teils fiktiven Handlung. Wir deuten heute die dargestellte Zeit immer aus der Rückschau, Fallada hingegen wusste 1945/46 nicht, wie sich das Leben in Deutschland weiter entwickeln würde, er erzählt aus seiner direkten Gegenwart. Daraus entsteht ein ganz einzigartiger Blick auf das erste Nachkriegsjahr, den ich in der herausragenden Form bisher nur bei Fallada gelesen habe.
Wer noch weitere Informationen zum Roman wünscht, dem bietet diese Ausgabe noch einige Highlights. Ihm ist ein Vorwort von René Strien und Nele Holdack, die im Aufbau Verlag für Hans Fallada zuständig ist, und das Vorwort des Verfassers von 1946 vorangestellt. Im Anhang finden sich noch ein Nachruf zu Falladas Tod von Johannes R. Becher, eine Zeittafel zu Falladas Leben und Werken und eine editorische Notiz.
Fazit
Auch wenn dieses großartige Buch nicht ganz an Falladas großes Spätwerk „Jeder stirbt für sich allein“ heranreichen kann, ist es trotzdem absolut zu empfehlen. Es bietet einen sehr eindringlichen Blick auf die unmittelbare Nachkriegssituation in der Provinz und in Berlin und berührt und schockiert zugleich durch seine enorm lebensnahen Figuren. Es sollte viel mehr beachtet und gelesen werden, noch eindrucksvoller kann Literatur nicht sein!
4,5 von 5 Punkten
Buchinfos:
Taschenbuch, 285 Seiten
ISBN: 978-3-7466-3155-4
Erschienen in: 2016
Preis: 9,99 €
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