Sonntag, 13. Mai 2018

Rezension: W. Somerset Maughams Der Menschen Hörigkeit



Inhalt

England im Jahre 1885: Philip Carey verliert früh seine Eltern und muss bei seinem Onkel, der als Pfarrer in einem kleinen Ort in Kent arbeitet, und dessen Frau leben. Sie ermöglichen ihm eine schulische Ausbildung mit dem Ziel, selbst Geistlicher zu werden. Durch seinen angeborenen Klumpfuß fühlt er sich distanziert von seinen Klassenkameraden, die ihn immer wieder hänseln. Mit der Zeit reift in ihm der Wunsch, den ihm vorbestimmten beruflichen Weg zu verlassen und seinen eigenen Weg zu finden. Er lebt einige Zeit in Heidelberg, später in Paris, um Künstler zu werden, um schließlich in London Medizin zu studieren. Dort verliebt er sich in die Kellnerin Mildred, was sein Leben auf tragische Weise ändern wird…

Meinung

W. Somerset Maugham ist mit diesem ausführlichen Werk ein Meisterwerk gelungen, das auch autobiografische Züge trägt. Man begleitet die Hauptfigur Philip von seinem neunten bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr, erlebt mit ihm unzählige Höhen und Tiefen während seiner Suche nach seinem Platz in der Welt. Er hat mit seiner Behinderung zu kämpfen, muss sich mit seinem gefühlskalten Onkel arrangieren, unglückliche Liebesbeziehungen, allen voran mit der entsetzlichen, ihn ausnutzenden Mildred, überstehen, zum Teil in Armut leben und irgendwie seine Ausbildung finanzieren und den Tod vieler Freunde verkraften. Diesen jahrelangen Kampf, der immer wieder von der Frage nach dem Sinn des Lebens begleitet ist, schildert der Autor dabei sehr gefühlvoll und berührend mit eindrucksvoll tiefgehenden Charakterstudien. Man kann sich in alle Figuren gut hineinversetzen, sie wirken lebensnah und wie echte Menschen, da der Autor auch die unangenehmen Seiten an Menschen niemals ausspart. Die Figuren lassen sich genauso durch Hass, Neid, Eifersucht, Trägheit, Sucht in ihren Handlungen leiten wie auch durch Liebe, Freundschaft, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft. Am Beispiel der Beziehung zwischen Philip und Mildred zeigt Maugham eindrucksvoll, was Menschen aus Liebe tun und über sich ergehen lassen. Dies ist nicht immer leicht zu lesen und gerne würde man Philip hin und wieder mal richtig schütteln, wenn er Mildred zum wiederholten Male verzeiht, obwohl sie ihn wie Dreck behandelt. Doch dies macht die Geschichte auch sehr realistisch, wie im echten Leben läuft nicht alles, wie man es sich gewünscht hätte, viele müssen länger nach ihrem Weg suchen, bis sie mit sich annähernd im Reinen sind und ihren Platz gefunden haben, was auch Philip durchmachen muss. Etwas unpassend fand ich zwar Philips Wunsch gegen Ende, sein Onkel möge endlich sterben, damit er mit dessen Erbe den Rest seines Studiums finanzieren könne. Doch vielleicht gehört auch dies zu den egoistischen Seiten des Menschen, vor denen uns der Autor ebenso nicht verschonen will.
Die Herausarbeitung der Entwicklung der Charaktere und ihrer Verbindungen zueinander ist der große Pluspunkt des Buches, ansonsten weist es auch einige Längen auf, wenn die vielen Diskussionen über Religion, Kunst und Medizin ausarten und viele Seiten füllen. Nach meinem Geschmack hätten diese ein wenig gekürzt werden können, stören tun sie das gelungene Gesamtbild aber auch nicht. Ich musste mich nur etwas durch sie hindurchschleppen. Dafür werden jedoch die Handlungsorte in Kent, London, Heidelberg und Paris sehr anschaulich dargestellt, so dass man sich sehr schnell in diese Orte um 1900 zurückversetzt fühlt. Man versinkt somit immer tiefer in der rührenden Geschichte, die trotz ihrer Länge niemals langweilig oder eintönig wird.

Fazit

Das Buch zeigt uns den Lebensweg des Hauptcharakters mit all seinen Höhen und Tiefen und seine Suche nach seinem Platz in dieser Welt so eindrucksvoll und realistisch, dass man das Buch nur schwer aus der Hand legen kann. Es wartet nicht mit einem plumpen Happy End auf, das der Tiefe der Erfahrungen, die Philip durchleiden muss, nicht gerecht werden würde. Es wirft viele wichtige Fragen nach dem Sinn des Lebens auf, die auch heute nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Mich hat es tief bewegt und zum Nachdenken angeregt, weshalb ich es wärmstens empfehlen kann. Die vielen Lobpreisungen, die ich vor der Lektüre gelesen habe, sind diesmal vollkommen angebracht!

4,5 von 5 Punkten


Buchinfos:
Taschenbuch, 976 Seiten
ISBN: 978-3-257-24207-2
Erschienen am: 23. Oktober 2012
Originaltitel: Of Human Bondage
Preis: 16,00 €

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