Sonntag, 11. März 2018

Rezension: Stefan Zweigs Angst



Inhalt

Stefan Zweigs 1912 geschriebene Novelle handelt von der Ehebrecherin Irene Wagner, die ein sorgloses Leben an der Seite ihres Mannes, einem Rechtsanwalt, führt, Mutter zweier Kinder ist, um die sich Kindermädchen kümmern, und die somit ihre Zeit mit Veranstaltungen und Unternehmungen verbringen kann. Um aus diesem eintönigen Leben auszubrechen, beginnt sie eine Affäre mit einem jungen Musiker, den sie immer in größter Angst verlässt, ihr Mann könne ihren Betrug entdecken, bis sie tatsächlich nach einem heimlichen Treffen von einer Frau abgefangen wird, die ihr vorwirft, ihr den Geliebten genommen zu haben, und sie zu erpressen beginnt…

Meinung

Nachdem ich von Stefan Zweig bisher vor allem seine biographischen und historischen Schriften gelesen habe, habe ich mir nun eine seiner zahlreichen Erzählungen vorgenommen. Darin widmet er sich in einer kurzen Zeitspanne von knapp zwei Wochen den Geschehnissen, die sich nach der Entdeckung von Irenes Ehebruch durch eine fremde Frau ereigneten. Dabei geht er chronologisch vor, wenn sich auch Irene zeitweise an den Beginn der Affäre zurückerinnert, und er zeigt eindrucksvoll und psychologisch tiefgehend die verschiedenen Stadien der Angst auf, während der Affäre die reizvolle, die durch das Verbotene der Affäre erst ihren wirklichen Kick gebende bis hin zur bedrängenden und Irene sukzessive lähmenden Angst nach der Entdeckung und während der Erpressung, an der sie beinahe zugrunde geht.
Diese Entwicklung schildert Zweig dermaßen intensiv und nachempfindbar, dass man sich als Leser selbst an Irenes Stelle sieht, mit ihr zusammen ihr gesamtes Leben um sich herum zu verlieren scheint, ihren Betrug aber auch nachvollziehen kann und sie dafür nicht verurteilt. Zweig macht verständlich, wie unbedacht sie sich in diese Affäre gestürzt hat und wie sie erst, als sie alles zu verlieren droht, wirklich erkennt, wie wertvoll ihr ihr bisheriges Leben ist, aber auch, was sie alles bereits versäumt hat, wie etwa einen Anteil an der Erziehung ihrer Kinder zu haben. Man fühlt mit Irene mit, wie sie versucht, einen Ausweg zu finden, wie sie sich aber nicht zu einem Geständnis ihrem Mann gegenüber durchringen kann, obwohl dieser ihr scheinbar einige Möglichkeiten dazu bietet, bereits etwas zu vermuten scheint und sie sich im Zusammenhang mit der Bestrafung ihrer Tochter darüber unterhalten, wie viel schlimmer die Angst vor der Entdeckung eines Fehltritts ist als die Strafe bei der Entdeckung, da vor allem die Ungewissheit, in der man schwebt, quält. Zweig gestaltet seine Charaktere und ihre Reaktionen dabei sehr realistisch und menschlich, so dass man als Leser Irene nicht schlicht als Ehebrecherin verteufelt, sondern ihr Handeln nachvollziehen kann und ihren Betrug und die Lehren, die sie daraus zieht, auch als Rettung für ihre Ehe sehen kann.
Als Zusatzinformationen zum Text bietet diese Ausgabe noch eine kurze Inhaltsangabe und –analyse der Novelle, die allerdings etwas ungeschickt an den Anfang des Bändchens gestellt wurden, da sie fast den kompletten Inhalt bereits verraten, und noch eine kurze Lebensbeschreibung des Autors. 

Fazit

Eine intensive und sehr gelungene Beschäftigung mit dem Thema Angst vor der Entdeckung bei einem Fehltritt, die abgewogen und sehr realistisch das Handeln der Charaktere schildert und Irenes Ehebruch nicht schlicht verurteilt, sondern menschlich verständlich macht und auch als Chance für die Rettung ihrer Ehe darstellt.

4 von 5 Punkten


Buchinfos:
Taschenbuch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-596-10494-9
Erschienen im: Dezember 2013
Preis: 6,95 €

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