Samstag, 24. März 2018

Rezension: Uwe Wittstocks Karl Marx beim Barbier

Inhalt

Anlässlich des 200. Geburtstags von Karl Marx in diesem Jahr häufen sich wieder die Buchneuheiten zu seiner Person, eine davon lieferte vor kurzem Uwe Wittstock ab. Sie stellt keine klassische Biografie dar, sondern nimmt Karl Marx’ 1882 getätigte Reise nach Algier, die er kurz nach dem Tod seiner Frau Jenny und gezeichnet von einer Rippenfellentzündung unternahm, zum Anlass, um auf dessen turbulentes Leben zurückzublicken: das Aufwachsen in einer alten Rabbinerfamilie in Trier, die chaotischen Studienjahre in Bonn und Berlin, erste journalistische und politische Tätigkeiten, das lange Exil in Paris, Brüssel und London, die Freundschaft mit Friedrich Engels, die ewige Armut, die Entwicklung seiner Theorie bis hin zum Abfassen des ersten Bandes von „Das Kapital“. Gestützt auf bisher nicht genutzte Quellen zeichnet Wittstock ein sehr ambivalentes Bild des Philosophen, dessen Theorien großen Einfluss auf die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts haben sollten.

Meinung

Das Werk wechselt immer abwechselnd zwischen einem Kapitel in Algier und einem Rückblickskapitel, das Marx’ Leben chronologisch anhand der Orte, in denen er lebte, darstellt. Die Kapitel in Algier sind dabei aus der Sicht von Karl Marx selbst geschrieben, der Rückblick mehr in Biografieform. Dabei spielt Marx’ Leben nicht allein eine Rolle, sondern auch der historische Kontext, den der Autor sehr ausführlich mit behandelt. Man bekommt einen sehr guten Einblick dahingehend, was es bedeutete, damals in Deutschland unter preußischer Führung zu leben, insbesondere, was die Zensur und den Umgang mit der Presse anging. Ebenso wird recht ausführlich auf die Revolution 1848, die Industrialisierung und den Kampf für bessere Arbeitsbedingungen eingegangen, immer natürlich in Bezug auf Marx’ Verbindung zu diesen Themen, aber eben auch so allgemein, dass man in Ansätzen eine Geschichte Deutschlands zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu lesen bekommt, die zudem sehr gut recherchiert ist. Die verschiedenen philosophischen Ansätze der Zeit, die Marx prägten oder auch im Kontrast zu ihm standen, werden außerdem sehr allgemein verständlich erklärt, trotzdem schadet Vorwissen zu dieser Epoche und den prägenden Theoretikern keineswegs. Als Einstieg in die Thematik würde ich das Buch nicht empfehlen.
Wird der historische Kontext schon sehr gelungen herausgestellt, überzeugt der Autor mit der Herausarbeitung von Marx’ Persönlichkeit noch einmal mehr. Viel näher kann man seiner Person mit dem Abstand von über 100 Jahren wohl nicht kommen. Dabei wird ein sehr abgewogenes Bild von Marx gezeichnet, seine Stärken wie auch seine Schwächen betont, nicht nur gelobt, aber auch nicht nur kritisiert, vielmehr versucht, seinen Charakter, sein Leben und auch seine Bedeutung für spätere Generationen zu analysieren. Marx wird einem als Leser dabei nicht besonders sympathisch, seine aufbrausende, auch arrogante und dominierende Art wird auf Dauer anstrengend. Er sorgt lange Zeit nicht ausreichend für seine Familie, ist jahrzehntelang auf das Geld seines Freundes Engels angewiesen, verbringt Jahre mit intensiven Recherchen, anstatt endlich auch einmal Buchprojekte abzuschließen, isoliert sich immer wieder von anderen führenden Linken der Zeit, kämpft zwar für Arbeiter, pflegt aber keinen Kontakt zu ihnen, zeigt sich auf der anderen Seite aber auch als genialer Theoretiker und liebevoller Familienvater, der sich später besonders an seinen Enkeln erfreut. Dies macht insbesondere die Algier-Kapitel so lesenswert, da sie Karl Marx zeigen, wie man ihn sich eigentlich wünscht: am Ende seines Lebens, nach Jahrzehnten des Kampfes, menschlicher und ruhiger geworden, viel an seine Töchter und Enkel denkend und sein Leben Revue passieren lassend, passend zu der letzten Fotografie von ihm, die in Algier aufgenommen wurde und ihn noch einmal mit seiner typischen weißen Haarpracht und Vollbart zeigt, bevor er danach zum Barbier geht. Auch seine Theorien, die er in „Das Kapital“ erläutert, behandelt Wittstock noch und stellt zudem die Frage nach ihrer Bedeutung für die Politik des 20. Jahrhunderts und ihrer Aktualität heute. Diese Ausführungen waren nach meinem Empfinden jedoch ein wenig zu kurz, da hätte ich mir mehr Informationen gewünscht.

Fazit

Zum Auffrischen von Kenntnissen zu Karl Marx ist dieses Buch besonders geeignet, zumal es durchweg interessant zu lesen und auch sprachlich ein Genuss ist. Noch näher kann man Marx’ Persönlichkeit eingebettet in seine Zeit nicht mehr kommen. Zusätzlich erhält man erste Ansätze zur Analyse seiner Theorien, die zu einer weiteren Beschäftigung damit einladen.

4 von 5 Punkten


Buchinfos:
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 288 Seiten
ISBN: 978-3-89667-612-2
Erschienen am: 05. März 2018
Preis: 20,00 €


Ein großes Dankeschön an den Blessing Verlag für das bereit gestellte Rezensionsexemplar!

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